ÜBERTRAGUNGEN

Hier könnt ihr meine Übertragungen einiger Gedichte von Jens Peter Jacobsen, Adam OehlenschlägerEmil Aarestrup, Hans Christian Andersen, Viggo Stuckenberg, John Keats, Percy Bysshe Shelley, Rudyard Kipling, William Henry Davies, Doi Bansui, Kitahara Hakushû, Miki Rofû, Noguchi Ujô, Fukiya Kôji und Saijô Yaso lesen. Ein Klick auf den Namen eines Dichters erzeugt einen Sprung zu den Übertragungen seiner Gedichte.

Azurjungfer

JENS PETER JACOBSEN

(1847 - 1885)

 

Irmelin Rose

 

Seht, es war einmal ein König,

Manch ein Schatz gehörte ihm,

Doch davon der allerbeste,

Wusste man, war Irmelin,

Irmelin Rose,

Irmelin Sonn,

Irmelin alles, was schön war.

 

Alle Ritterhelme zeigten

Ihrer Farben muntre Pracht,

Und mit jedem Reim und Rhythmus

Schloss ihr Name einen Pakt:

Irmelin Rose,

Irmelin Sonn,

Irmelin alles, was schön war.

 

Ganze Scharen von Bewerbern

Eilten auf des Königs Schloss,

Warben dort mit zarten Gesten

Und manch blumig schönem Wort:

Irmelin Rose,

Irmelin Sonn,

Irmelin alles, was schön ist.

 

Die Prinzessin jagt' sie von sich

(Kalt war ja ihr Herz wie Stahl),

Tadel fand des einen Haltung,

Spott nur, wie der andre sprach.

Irmelin Rose,

Irmelin Sonn,

Irmelin alles, was schön ist.

 

ADAM OEHLENSCHLÄGER

(1779 - 1850)

 

Min Kakkelovn

Mein Ofen

Ach, mein Trost, du, meine Liebste,
Wie verlockt dein Liebreiz mich!
Stets im Zimmer hier zur Miete,
Mich erwartend, find ich dich.

Hast des Alters nicht zu klagen,
Liegt auch deine Jugend fern,
Ob aus Eisen gleich geschlagen
Ist dein Herz, ich hab es gern.

Kalt bist du wohl von Natur aus,
Doch erhitzt du dich im Nu,
Reicht doch eine Buchenkur aus:
Liebe heiß empfindest du

Und belebst die dunkle Kammer
Winters mir mit muntrem Brand,
Und dein Mund – mit Heimdalls Flammen –
Zeigt den Goldzahn Gyllentand.

Und ich starre stillen Herzens
Auf dich hin und rede nicht,
Träum bei deiner Zauberkerze,
Ehe auf dem Tisch ein Licht.

Und der Kindheit Bilder schleichen
Elbenhaft zu mir herein,
Draußen lugt der Mond mit bleichen
Wangen aus der Wolke sein.

Mond, nicht Wehmut! Im Vertrauen:
Ist dem Leben nicht zunutz;
Dort, wo deine Strahlen blauen,
Träumt nur Sehnsucht und Verlust.

Bei des Kachelofens Gluten
Hier scheint mir die Welt sehr schmuck,
Und in dämmerdüstrer Stube
Spieln die Elben Blindebuk.

 

EMIL AARESTRUP

(1800 - 1856)

 

Uglen
Die Eule

Du sagst, dass auf der Bank du
Alleine neulich abends,
Abkehrend dich der Sonne,
Im Lindenschatten saßest.

Und an dem tiefen Himmel
– Sein Blau begann zu grauen –
Konnt man die bleiche Scheibe
Des vollen Mondes schauen.

Und eine große Eule,
Die just in der Allee saß,
War so wie du alleine,
Die laut die Odyssee las.

Du lasest von Athene
Ihr mit den blauen Augen
Sehr lang, wie angenagelt
Im Baum der Vogel lauschte.

Du sagst, dir wurde bange
Zuletzt, da in dem Dunkeln
Sein gelber Blick zu kreisen
Begann und grell zu funkeln.

Du liefst – Ich seh sie starren,
Die tief beglückte Eule,
Versteh, weshalb seither sie
Die andren Vögel scheute.
 
Weshalb sie stumm bloß dasitzt,
Wenn alle Sterne flimmern,
Den Schnabel an die Brust presst –
Vor Lust, sich zu erinnern.

 

Paa Sneen

Auf dem Schnee

Durchquerend Markt und Gasse
Und auf dem Schnee, dem weißen,
Des Nachts vom Mond beleuchtet,
Sah ich dich hastig schreiten.

In märchenhafter Schönheit
Die Stadt kristallklar strahlte
Und wie ein Zauber-Trugbild
Glänzte die Schlossfassade.

Vom Glück verwöhnt umwand dir
Der Muff die Hände beide,
Um deine Knie hörte
Ich Knistern glatter Seide.

Dein Atem, sonst den Augen
Wie Rosenduft verborgen,
Verströmte durch den Schleier
Jetzt kleine Silberwolken.                                  

Und deiner Füße Drücken
Den Schnee fein singen machte,
Da auf dem weichen Teppich
Hinflatterte dein Schatten.

Ich sah ihn hastig schweben
Über die schimmerweiße,
Ätherisch reine Fläche –
Den andern, ihm zur Seite.

Es war mein eigner Schatten,
In einer solchen Hast bloß –
Ich hatte ihn noch nie so
Gestreckt gesehn und rastlos!

Verwirrt kam er noch näher,
Er ließ – es zu gestehen –
Mit deinem zart sich mengen
Sein eignes düstres Wesen.

Sie schwollen – selbst Canova
Schuf keine bessren Gruppen –
Und waren, wenn das Mondlicht
Sich kurz verlor, verschwunden,

Um wieder aufzutauchen
In wechselnden Figuren –
Was Fleisch und Blut nicht teilwird,
Dem Schatten widerfuhr es.

 

Brønden

Der Brunnen

Wie dieser tiefe Brunnen,
Aus dessen kaltem Schacht nur
Ganz langsam man den Eimer
Heraufholt wie vom Abgrund;

Worin ein kleiner Fleck bloß
Vom Himmelblau sich weiset,
Dem flüchtig ein paar Sterne
Verschämt das Auge leihen;

Worin du, wo du einmal
Nur übern Rand wollt’st blicken,
Zwar leicht verdunkelt, sähest
Dein Engelantlitz nicken –

Von der Art ist mein Herz auch,
So Punkt um Punkt ein Brunnen,
Nur, selbst dann, wenn du fort bist,
Nie ist dein Bild verschwunden.

 

I Haugen

Im Garten

Des Abends voll Wolken
Ergreifende Röte,
Das Summen der Bienen,
Von den Blumen die Süße,

Am Rande des Himmels,
Schwimmend und ferne,
Begegnet’ mein Auge
Einem einzigen Sterne.

Der Zweig einer Birke,
Der größten im Garten,
Hing über den Kopf mir,
Als läg ich im Grabe,

Und Perlen von Wasser,
Wie Tränen, wie deine –
Warn die der Nacht bloß,
Vom Nebel, warn meine.

 

En Morgenvandring
Ein Morgenspaziergang

Knapp vorher fiel ein Regen,
Es war die achte Stunde;
Den Kiesweg du betratest
Mit blanken Überschuhen.

Und deiner Spur nach folgte
Im Park ich bei den Pappeln;
Zwei Schnecken, sah ich, mühten
Sich kriechend Schritt zu halten.

Den Handschuh, den in Ranken
Von Erdbeern du vergessen,
Fand ich im Grase warm noch
Von dir, entzückt ihn bergend.

Im Haine der Akazien,
Dem Gott, der dort beschaulich
Aus Marmor steht, den Arm auf
Sein Knie gestützt, vertraulich,

Versteckt von kühlen Schatten
Den Brief mit Tränen lesen,
Den jüngst dem fernen Liebsten
Die Schwermut eingegeben,

Sah ich dich dann, mit Küssen
Das Blatt Papier bedecken –
Selbst starrte ich aufs Meer und
Auf die Kastanienäste;

Und dachte: Wer da oben
Im Baum jetzt schwärmend hinge,
Wie jener Krammetvogel
Erwürgt in seiner Schlinge!

 

Tilbageholdenhed

Zurückhaltung

Es zogen durch die Blüten
Sich Schwaden Blütenstaubes,
Froh herzten sich die Mücken
Im Rücken grünen Laubes.

Die Gühwürmchen entflammten
Auf Tannen und Zypressen;
Mein Hund den Mops verfolgte
Mit tausenden Karessen.

Ja, selbst der kalte Sandstein
Bog sich im Laubenschatten
So stumm verloren, wie sich
Psyche und Amor gatten.

Nur du und ich, wir beide,
Verlegen abseits standen,
Als wär im Waldesdunkel
Die Nymphe Gouvernante.

 

HANS CHRISTIAN ANDERSEN

(1805 - 1875)

 

Konen med Æggene
(En gammel Historie sat i Riim)
Die Frau mit den Eiern
(Eine alte Geschichte in Verse gesetzt)

Seht, eine Frau auf dem Lande
Hatte ein Huhn, unter anderm.
Nun, Eier zu legen ist Hühnerviehs Fach
Und das Huhn gab eines jedweden Tag;

Ein paar Dutzend kamen beim Zählen heraus,
Das sah, fand die Frau, so schlecht nicht aus!
Sie legte behutsam sie in einen Korb,
Nahm den auf den Kopf und ging fort.
Zur Kaufstadt steuerte sie ihren Gang;
Doch war sie allein und der Weg war lang,
Ob sie nach Kräften auch zügig ihn ging,
Sodass sie zu grübeln und rechnen anfing:
Was sprang als Entgelt für die Eier heraus?
Auch das sah so schlecht gar nicht aus!
"Gewiss doch", sprach sie und schritt fleißig drein,
"Die bringen mir gut einen Reichstaler ein.
Ich kaufe mir Hühner davon, und zwar zwei,
Mit dem zu Hause hab' ich dann drei
Und alle drei legen, und wenn's mir gefällt,
Kann ich noch einmal handeln. Ich komme zu Geld,
Ich kaufe drei Hühner dazu, sieh an:
Jetzt sind es schon sechs, von den Eiern dann
Verkauf ich die Hälfte, den anderen Teil
Lass ich bebrüten. Einwandfrei!
Ich krieg' einen Hühnerhof, denk dir doch bloß!
Allzeit gute Ware. Das wird richtig groß!
Von den einen die Eier, die andern zur Brut –
Wie reich ich da werde, mein Gott, wird das gut!
Ich kaufe zwei Gänse, ein kleines Schaf
Und der Handel kommt immer besser in Fahrt
Mit Eiern und Hühnern und Federn und Wolle.
Am Ende krieg ich den Geldsack volle!
Ich kaufe ein Schwein, eine Kuh mit dabei,
Wer weiß, kann sein, ich kaufe zwei?
Sieh, das ergibt sich! und um ein Jahr
Hab ich Haus und Gesinde und Kühe und Schaf'.
Dann kommt auch ein Freier, ich seh ihn genau,
Er küsst mir die Hand, ich werd' gnädige Frau!
Denn der Hof, den er hat, wird groß genug sein!
Ich werde so vornehm, so stolz, so fein,
Nur kluge Sachen hört man mich sagen

Und ich weiß meine Nase hoch zu tragen!"
– Und sagte es eben und war schon so frei.
Klatsch! da lagen die Eier! entzwei!
Die ganze Glückseligkeit hin, zur Sekunde –
Was wieder nicht schlecht war, im Grunde.

 

Risens Datter

Des Riesen Tochter

 

Tief drunten in dem Berge ein alter Riese lebt,

Des riesig gute Stube sich riesenhoch erhebt.

Die goldne Zimmerdecke drei Säulen stolz beschwert,

Da sitzt des Riesen Tochter, die ist zu sehn wohl wert.

 

Misst eine Viertelmeile, vielleicht ein bisschen mehr,

Und ist gar wohl gestaltet, Lach-Grübchen steht ihr sehr.

Sie strickt dort Kinderstrümpfe für ihre Schwestern klein,

In jeden dieser Strümpfe geht wohl der Rund-Turm rein.

 

Sie kannt' den engen Käfig des Bergs bis heute nur,

Nun will sie sich mal rühren in Gottes All-Natur.

So herrlich scheint die Sonne, der Himmel ist so blau,

Wie ein Kartoffel-Acker dünkt sie der Wald genau.

 

Und eine ganze Ortschaft mit einer Kirch' dabei

Ist ihr, als ob's ein Spielbrett mit buntem Spielzeug sei.

Voll frohen Sinns spaziert sie hin über Wies' und Städt',

Ergötzt auch in dem Meer sich als einem weichen Bett.

 

Aus wilden Rosenhecken, Holunderbüschen nett

Macht sie in aller Unschuld ein kleines Brust-Bukett;

Die Buchen mitsamt Wurzeln heraus sie rupfen tut

Und windet draus sich Kränze das junge, muntre Blut.

 

Im Felde raschelt etwas – das scheint ihr recht pikant;

In ihrer Schürze birgt sie sogleich, was sie da fand,

Und spricht zu ihrem Vater: "Schau hier, das steckt' ich ein!

Als Spielzeug nahm ich's mit mir für meine Schwestern klein."

 

Der Riese sprach, nachdem er das Fundstück scharf besehn:

"Hör, meine liebe Tochter, das Kleinzeug lass mal gehn!

So mickrig es dir vorkommt, so groß ist sein Verstand,

Das ist ein Pflug mit Ochsen und ihrem Bauersmann.

 

Dem Berg mit Grün und Ranken die Wände hübsch er schmückt,

Jetzt sorgt er fürs Getreide, putzt ebenfalls, wenn's glückt. –

In die Natur an Einsicht gebricht es dir doch schier;

Den Blumenbach musst lesen, da steht von dem Getier."

 

– Wohl hinter Busch und Strauchwerk und zwischen Feldgestein

Sieht man ein Licht jetzt brennen tief in die Nacht hinein.

Das Jungfräulein studiert dann, doch, doch und besten Dank!

Kann bald aus dem Effeff schon Linné und Blumenbach.

 

Sie redet schon verwegen vom Infusorium,

Als ginge sie nun täglich auf das Kollegium;

Das Strümpfestricken ruhet, sie selbst und Schwestern klein

Gehn jetzt mit nackten Beinen im Bergsaal aus und ein.

 

Regnveir

Regenwetter

 

Es regnet, sieh nur einer an – voll Wasser steht die Gasse;

Setz deine Droschke in ein Boot, dass sie zur Rundfahrt passe!

In Tor und Tür sucht Unterschlupf das Wanderer-Gewimmel,

Sie schütteln ihre Kleider aus und linsen auf zum Himmel.

Ein graues Muttchen vor die Tür die Eimer schiebt behände,

Damit sie nicht, so geht der Sinn, den Himmelsguss verschwende.

Dachrinnen-Niagara spült auf Fliesen und auf Steinen,

Dass Schiffbruch leidet, wer bloß Schuh statt Stiefeln an den Beinen.

Aus Wolken stürzt der Regen sich, er flutet, platscht – – – und endet.

Auf Zehenspitzen Jungfräulein vom Tor sich heimwärts wendet;

Auf ihrer Fußspur folget nach ein Offizier mit Sporen.

Die Gosse haben Kinder sich derweil zum Spiel erkoren;

Sie bauen Schiffe aus Papier, in die sie Blätter legen;

Bald sieht man wieder Mensch und Vieh in Gassen und auf Wegen.

– Jetzt bläst der Wind das Wasser fort, wo immer er was findet,

Drum komm ich mit dem Vers daher und häng ihn auf, wo's windet.

 

Graat Veir

Trübes Wetter

 

Die nassen Nebel hängen träg über Feld und Stadt,

Es mag nicht einmal regnen, der Himmel ist zu matt;

Im Garten selbst die Enten ergaben sich darein,

Den Kopf hinter dem Flügel, stumm wie im Feld ein Stein.

Die Großmutter im Lehnstuhl hält Nickerchen, döst ein;

Die Hand unter der Wange, der Tochter Töchterlein

Hat schon vier Mal gegähnet, ich weiß, warum das war,

Schau, auf die Brust fällt nieder das lange, blonde Haar.

Ich selber sitze schläfrig und kreuz die Beine schlicht,

Ich mag jetzt gar nichts lesen – nicht einmal mein Gedicht.

 

Snee-Dronningen

Die Schneekönigin

 

Sundets vågor

Sofva kring den frosna Kust.

(Des Sundes Wogen

Schlafen an der gefrorenen Küste.)

E. Tegnér.

 

Hoch liegt auf den Feldern der weiße Schnee,

Doch kann man das Licht in der Hütte sehn;

Dort wartet das Mädchen beim Lampenschein

Des Herzliebsten sein.

 

Kein Laut in der Mühle, sieh, still steht das Rad.

Rasch glättet der Bursche sein blondes Haar,

Dann springt er schon lustig, hei, eins, zwei, drei,

Über Schnee und Eis.

 

Er singt um die Wett' mit dem schneidenden Wind,

Recht schmuck seine Wangen gerötet sind.

Schneekönigin reitet auf Wolken der Nacht

Über Feld und Stadt.

 

"Was bist du mir schmuck in des Schneelichtes Schein,

Dich kies' ich zum Herzallerliebsten mein.

Komm, folge mir nach auf mein schwimmendes Land,

Über Meer und Strand!"

 

Die Schneeflocken fallen so dick und so dicht.

"Aus meinem Blumen-Netz fliehst du mir nicht!

Wo sich auf der Wiese die Schnee-Düne hebt,

Unser Hochzeitsbett steht!"

 

Das Licht in der Hütte ist nicht mehr zu sehn;

Im Ringtanz wirbelt der weiße Schnee,

Eine Sternschnuppe glänzt durch die Wolken so schmuck –

Dann ist alles verschluckt.

 

Hell leuchtet die Sonne auf  Wiese und Feld,

Süß schläft er in seinem Hochzeitsbett.

Dem Mägdlein wird bange, zur Mühle hin geht –

Doch der Mühle Rad steht.

 

VIGGO STUCKENBERG

(1863 - 1905)

 

Snefald

Schneefall

 

Geht ein Schneefall übern Wald hin,

lautlos und aus einem Himmel,

der sich birgt über des Waldes

Kronen in dem weißen Wimmeln.

 

Schnee, der leicht und weich wie Federn

rieselt aus den nackten Zweigen

auf vergessne Wege, wo des

Sommers welke Blätter schweigen;

 

Flocken, weiß die Spuren tilgend

nach des Windes Winterspielen

voller Bosheit, decken milde,

die dem Frost zum Opfer fielen.

 

Nicht ein Schritt und keine Stimmen,

nirgend mehr des Sommers Lieder,

nur ein Reh, das kurz sich schüttelnd

leise gnäckt, verstummt gleich wieder.

 

Ist ein Schneefall überm Walde,

mild und leis, als ob er wolle,

dass der Wald für alle Zeit in

diesem Schnee still schlummern solle.

 

Frostnat

Frostnacht

 

Die kalte Nachtluft geht in alle Glieder,

bei einem jeden Schritt knirscht scharf der Schnee,

der Mondschein senkt sich auf die Felder nieder,

schneeblinkend weiß und so verfroren weh.

 

Am Wegrand steht ein Paar von kahlen Weiden,

die schwarzen Zweige wippen immerzu,

sehn wunderlich verkommen aus, die beiden,

in dieser Winternacht kalt bleicher Ruh.

 

Und starr der Mond auf sie herunter stieret

aus mattem Himmel, düster blau zu sehn,

wo hier und dort ein Stern alleine frieret

und zittert, wie aus Angst, ganz zu vergehn.

 

Vom Graben feiner Schnee bisweilen hebt sich,

so wie man einen Drachen fliegen lässt,

und stiebt empor und staubt nach vorn und klebt sich

in Bart und Augenbrauen eiskalt fest.

 

Ich stehe bei den Weiden, trete wacker

den Schnee von meinen Stiefeln und seh weit

den Weg gehn ohne Zaun durch kahle Acker:

frostöder Weg, schneeweiße Dürftigkeit.

 

Fuldmaane

Vollmond

Wanderte schon lang,
doch emporgehoben,
spiegelblank
glänzt der Mond jetzt oben,

sät in Ackers Schnee
tausend Glitzerkerne
und ich seh
Saat von Silbersternen.

Übern Weg verziehn
Schatten schmaler Zweige
sich so wie
Haar mit Perlgeschmeide,

Frauenhaar im Schnee,
das in Frostes Singen,
wo ich geh,
meinen Fuß umwindet,

flicht sich heimlich fest,
wo den Blick ich senke,
schlingt sein Netz
um das, was ich denke.

 

Vinternat

Winternacht

Jetzt steht die Mondscheinnacht draußen in Blüte,
beugt ihren Kelch der gefrorenen Flur,
mein Fenster mit Silber besprühte
sie schon und mit Reifstaub die Wegespur.

Ich suche den Eintrag zu fassen
des Tags in mein stilles Quartier,
doch meine Gedanken verblassen,

bis ich sie im mondbleichen Träumen verlier.

Da draußen schimmert und regt sich
die frostige, silbern blaue Luft,
über die Felder weiß hebt sich
der Lilienkelch der Nacht ohne Duft.

So licht ist ein Friede in der Seele mir drinnen,
bin ohne Begehr, weiß keinen Verzicht,
das Leben scheint mir zu rinnen
da draußen so sanft wie des Mondes Licht.

Hoffnung, der übel ihr Teil ward gegeben:
erledigt, deren so oft ich gedacht,
nur eines erfüllt mich mit Leben,
die weiße Blüte der Mondscheinnacht.

Still um mich selber auch biegt sich
sternenbetaut ihres Bechers Mund,
fern meine Seele wiegt sich
dort auf des Silberkelchs Grund.

 

Dagmildet

Tauwettertag

Ich erblickte dich, ich grüßte.
Tauzeit wars und tief im Walde;
Wasserlauf erklang am Boden,
hoch ein Vogellied erschallte.

Kamst des Weges mir entgegen,
den noch nasser Schnee bedeckte,
trafen uns bei einem Baumstamm,
den der Sturmwind niederstreckte.

Und ein Zweig, der störrisch abstand,
griff dein Kleid, bands um den Fuß dir,
und ich half dir, bot die Hand dir,
und errötend schiedst du von mir.

Doch ich sah dich, wie du dastandst,
eingefangen von dem Zweige,
Hand in Hand mit mir, errötend.
Sonne war. Und nur wir beide.

Deine Augen sahn in meine,
deine warn wie weiche Schatten,
die zum Frühjahr zu der Wald wirft,
wie die weichen, bangen Schatten

und die Röte die der Sonne,
wenn sie sich zum Aufgang anschickt
und nicht weiß, wo sie noch immer
eisbedeckt die Erde anblickt.

... Hab die Kammertür verriegelt,
zum Kamin den Stuhl gestellt,
draußen tropfen alle Zweige,
schrilles Spatzentschilpen gellt,

und ich starre in den Ofen,
wo die roten Gluten leuchten,
beuge mich zu ihnen nieder,
frierend starr ich in das Feuer.

 

Morgen

Morgen

 

Ein Morgen, still, an einem Frühlingstag,

ein gelber Schornstein auf geteertem Dach,

ein blauer Rauch, der blickdurchlässig hinfließt

entlang des Waldsaums braunem Kranz,

vom Tau der Hecke weißer Blitze Tanz,

ein Weg, den blank die Morgensonne hingießt,

 

ein Himmel, so wie Wasser, voll von Licht,

und aus dem Waldrand, zweiggesponnen, bricht

taufrisches Vogelflöten, trillernd helle,

das niemals schweigt und niemals schweigt

und das wie kühler, zarter Friede steigt,

des Atem geht aus silbernklarer Quelle.

 

Augustnat

Augustnacht

 

Bist gekommen und jetzt sitzt du

mit mir Hand in Hand,

dein Gesicht bleich wie des Mondes

Lichtschein an der Wand.

 

Bist zu mir zurück gekommen,

doch dein Mund bleibt stumm,

nur wenn wir einander ansehn,

spielt ein Lächeln drum.

 

Und wir reden nicht zusammen,

schweigen uns nur zu,

um uns beide träumt der Mondnacht

wehmutsvolle Ruh.

 

Doch als eben durch den Garten

fuhr der Eule Schrei,

zucktest du und deine Hand ließ

meine jählings frei,

 

hastig griffst du sie aufs Neue –

deine Hand war klamm,

ach, als säß ich hier allein mit

einem Geist zusamm.

 

JOHN KEATS

(1795 - 1821)

 

La Belle Dame sans Merci

 

Was grämt Euch, Herr im Ritterkleid?

Allein und bleich streift Ihr umher.

Das Ried am See ward welk, es singt

Kein Vogel mehr.

 

Was grämt Euch, Herr im Ritterkleid,

So jammervoll und schmerzentstellt?

Des Eichhorns Kammer ist gefüllt

Und gemäht das Feld.

 

Ich seh die Lilie Eurer Stirn

Vom Schweiß der Qual und Fieber nass,

Und Eurer Wangen Rose stirbt,

Auch welk und blass.

 

Ein Fräulein traf ich einst im Grund,

Vollkommen schön, ein Feenbild,

Mit langem Haar und leichtem Fuß

Und die Augen wild.

 

Ich flocht ihr einen Kranz ins Haar,

Armband und Gürtel, duftend weiß,

Sie sah mich an, als liebte sie,

Und seufzte leis.

 

Da setzte ich sie auf mein Ross,

Sah nichts sonst, bis die Sonne schied,

Denn seitwärts bog sie sich und sang

Ein Elfenlied.

 

Wohl wilden Honig, Wurzeln süß

Und Mannatau fand sie für mich,

Mit fremdem Laut sprach sie gewiss:

"Ich liebe dich."

 

Zu ihrer Elfenhöhle ging's,

Dort weinte sie und gab nicht Ruh,

Die wilden Augen schloss ich ihr

Mit Küssen zu.

 

Dort sang sie mich wohl in den Schlaf,

Da träumte ich – ach weh, so bang –

Den letzten Traum, den ich geträumt

Auf dem kalten Hang.

 

Sah bleiche Fürsten, Prinzen auch,

Zum Tode bleich, die stimmten an

Den Ruf: "La Belle Dame sans Merci

Hält dich im Bann!"

 

Sah Lippen dürr im Dämmerlicht,

Aus denen sich der Ruf entrang,

Da wacht ich auf und fand mich hier

Auf dem kalten Hang.

 

Und deshalb säume ich noch hier

Und streif allein und bleich umher,

Ward das Ried gleich welk am See und singt

Kein Vogel mehr.

 

PERCY BYSSHE SHELLEY

(1792 - 1822)

 

Summer and Winter

Sommer und Winter

Es war ein Nachmittag voll Licht und froh,
Der Sonnenmonat Juni endet so,
Wenn Nordwind Silberwolken, deren Fahrt
Schwimmenden Bergen gleicht, zusammenschart
Vom Horizont – und hinter ihnen weit
Der Himmel aufgeht wie die Ewigkeit.
Und freute sich unter der Sonne ein jedes, der Strauch,
Der Fluss, die Felder und das Schilfrohr auch;
Die Weidenblätter, die blitzten, strich der Wind drüber hin,
Und in den größeren Bäumen das kräftige Grün.

 

Ein Winter war der Art, wenn weit und breit
In Wäldern Vögel sterben und durchs Eis
Hindurch sieht man versteift die Fische stehn,
Das Schlick und Schlamm am Grund der warmen Seen
Zu Schollen friert, so hart wie Stein; und dem,
Der jetzt mit seinen Kindern und bequem
An seinem Herd sitzt, ist selbst dort noch kalt:
Dann weh! des Bettlers, heimatlos und alt!

 

To the Moon

An den Mond

 

Meint deine Blässe, du bist leid

Am Himmel steigend stier zur Erde sehn

Und keiner wandert dir zur Seit

Der Sterne, die aus anderm Ursprung gehn –

Unstet, freudlosem Auge gleich, das misst,

Was seines Blicks zur Dauer würdig ist?

 

RUDYARD KIPLING

(1865 - 1936)

 

A Ripple Song

Kleiner Welle Lied

 

Kleine Welle kam zum Land

Einst im Abendsonnenscheine –

Netzte eines Mädchens Hand,

Kam zur Furt alleine.

 

Schlanker Fuß und zarte Brust –

Drüben findst du Rast und Lust.

"Mädchen, wart, hör mein Gebot",

Sprach die Welle, "bin der Tod."

 

"Liebster ruft, ich muss mich sputen –

Wäre Schande, zaudert' ich –,

Kühnen Sprungs ja durch die Fluten

Neckt' ein Fischlein mich."

 

Schlanker Fuß und Herze zart –

Mit dem Fährkarrn mach die Fahrt.

Welle sprach: "Hör mein Gebot:

Warte, denn ich bin der Tod!"

 

"Liebster ruft, ich will nicht wenden –

Jungfer Kalt wird einsam alt."

Welle floss um ihre Lenden,

Nirgendwo ein Halt.

 

Töricht Herz und treue Hand –

Kleiner Fuß fand nie das Land.

Welle kräuselte sich rot,

Kleine Welle – war der Tod.

 

The Only Son

Der Einzige Sohn

 

Das Gitter zu, den Riegel vor, sie schürte des Feuers Schein,

Denn ein Winseln drang zum Fenster hinauf, eine Pranke schob sich herein.

Die Flamme schuf Behaglichkeit, warf Licht durch der Hütte Raum,

Und der Einzige Sohn schlief abermals ein und träumte, er träumt' einen Traum.

Die Asche fiel, ein Funke sprang vom halb verkohlten Scheit,

Und der Einzige Sohn erwachte erneut, rief durch die Dunkelheit:

"Wie? Bin ich von einer Frau geborn und ruhte an Mutterbrust?

Ich träumte von einem zottigen Fell, auf dem ich liegen musst'.

Und bin ich von einer Frau geborn und trug mich ein Vater im Arm?

Von schnappenden Zähnen träumte ich doch, die wehrten jedem Harm.

Und hatte ich Geschwister keins und spielte stets allein?

Von zwei Gefährten träumte ich ja, die bissen bis aufs Bein.

Und hätt' in saure Milch getunkt das Gerstenbrot geklaubt?

Vom toten Zicklein träumte ich, frisch aus dem Stall geraubt:

Vom Himmel in der Mitternacht und wie ihr Blutruf klang,

Und rote Schatten stießen vor, die griffen nach meinem Fang.

Es dauert Stunde und Stunde noch, bevor der Mond aufgeht,

Und doch seh ich den Dachfirstbaum, wie ihr ihn mittags seht.

's ist Meile um Meile zum Lenafall, wohin der Sambar zieht,

Doch hör ich, wie das Junge blökt, wenn es zur Hindin flieht.

 

's ist Meile um Meile zum Lenafall, wo am Acker der Berg anhebt,

Doch rieche ich den feuchtwarmen Wind, in dem der Weizen bebt.

Die Tür schließ auf! Es hält mich nicht, ich muss hinaus und sehn,

Ob's Wölfe, ob's die Meinen sind, die wartend draußen stehn!"

 

Das Gitter hoch, den Riegel fort, die Türe auf und schon

Sprang eine Wölfin aus der Nacht, umwedelt' den Einzigen Sohn.

 

The Way through the Woods

Der Weg durch den Wald

Sie sperrten den Weg durch den Wald.
Siebzig Jahre ist's her.
Und weil Wetter und Wind gekommen sind,
Kennst du ihn heute nicht mehr,
Doch es war einst Weg durch den Wald,
Lang vor sie pflanzten ein Reis.
Ist in Sträuchern versteckt und mit Heide bedeckt,
Die Anemonen blühn weiß.
Nur noch der Waldhüter weiß:
Wo die Ringtaube balzt,
Wo die Dachse sich kugeln im Kreis,
War einst ein Weg durch den Wald.

Und doch, trittst du ein in den Wald,
Sommers zu später Zeit,
Und ein warmer Wind streift den gekräuselten Teich,
Wo der Otter der Otterin pfeift
(Sie fürchten nicht Menschen im Wald,
Denn Menschen sehen sie kaum),
Wie leicht hörst du dann, dass Pferde sich nahn,
Und es schleift auch ein Kleid durch den Tau
Beim leichten Galopp durch den Tau,
Wenn einsam der Nebel wallt,
Als wüssten sie genau
Den verlorenen Weg durch den Wald.
Und ist doch kein Weg durch den Wald.

 

WILLIAM HENRY DAVIES

(1871 - 1940)

 

The Bird of Paradise

Der Paradiesvogel

Kate Summers traf ich, die für Gold
Ihr Bett noch jedem bot:
„Du kanntest doch Nell Barnes“, sprach sie,
"Nell Barnes", sprach sie, "ist tot.

 

Nell Barnes war schlecht zu jedem Mann,
War schmutzig und ein Dieb,
Doch Nell war's, die mein Leben lang
Der beste Freund mir blieb.

 

Ich saß an ihrem Bett zuletzt,
Bis sie gestorben war,
Und ward von alldem, was ich sprach,
Ihr schon kein Wort mehr klar.

Denn all ihr Klagen war am End:
‚Nicht um die Welt! Verschont
Den Vogel aus dem Paradies,
Der auf dem Pfosten thront!’

 

Ich bot ihr ein paar Trauben an
Und Zwetschgen, süß und reif,
Aus frischen Eiern Eiercreme
Und zartes Hühnerfleisch.

 

Und ich versprach, ich käme mit
Auf ihrem Weg zum Grab
Und borgte Geld für einen Kranz,
Dieweil ich selbst keins hab.

Doch all ihr Klagen war am End:
‚Nicht um die Welt! Verschont
Den Vogel aus dem Paradies,
Der auf dem Pfosten thront!’“

 

The Wanderer

Der Wandrer

Noch vor es tagt, hat er gepackt,
Warf auf den Rücken sich den Sack,
Und mit dem Kuckuck zieht er aus,
Der baut kein Nest und er kein Haus.
Und wer er ist, wohin er geht,
Kein Mensch, ob Mann, ob Frau, errät;
Auch nicht, wo denn sein Schlafplatz wär,
Das weiß der Erntemond und er.
Doch ehe er sich wischt den Mund,
Kaut an dem Knochen schon der Hund,
Hat ihren Teil die Vogelschar,
Auch ohne Lied, die um ihn war.
Und wer im Wagen kommt daher –
Die Stadt ist fern, zu Fuß ist er  – ,
Sagt: "Seht einmal den Bettler an!",
Doch weist er Münze, etwa dann,
Wenn er vom besten Ale bestellt:
"Verkleidet ist's ein Mann von Welt",
Hört er des Gastwirts Tochter raunen,
Die lächelnd fortschleicht mit Erstaunen.
Und wo er je nimmt Aufenthalt,
Ein Rätsel bleibt er Jung und Alt,
Und allzeit Wundersamen sät,
Im Herzen lachend, wo er geht.
Sein freies Leben einfach war,
Kein Eheweib bracht's in Gefahr.
Er liebt die stilleren Genüsse
Des Tabaks mehr als Liebesküsse.
Sein Ale trank er an allen Tagen,
Denn keiner war, deshalb zu klagen.
Sich selbst erforschend, stellt' er fest:
Manch wahrer Freund sich finden lässt
Im Reich der eignen Phantasie,
Ein bessrer unter Menschen: nie.
Aufdringlichkeit war ihm verhasst,
So war er niemals wem zur Last;
Und keiner Runde nahe kam,
Bevor er einen Gruß vernahm.
Weil er sein ganzes Leben so
Zurück sich zog, in Träumen froh,
Die Wahrheit schreibt auf seinen Stein:
"Das Alter sprach: Nun muss es sein.
Er lieh nie einem Menschen Kraft,
Die Bitternis aus Süßem schafft.
Gesellschaft schuf ihm niemals Schmerz
Und keine Frau brach je sein Herz;
Sein Leib verdarb, sein Herz jedoch
War faul an keiner Stelle noch;
An jedem Tag und bis zum Tod
War Freude, was das Leben bot."

 

The Two Children
Die zwei Kinder

"Ah, Junge, sieh mal an,
Mit deinem Spaten da
Aus Holz gräbst du im Sand.
So tief –  wozu?", sprach ich.
Sprach er: "Es gibt mehr Gold
Da unten unter mir,
Als selbst ein Elefant
Je trüge fort von hier."

"Ah, Mädchen, und du strickst! –
Was wird das, was ich seh?"
"Dem Vogel Strümpfe strick,
Dass er nicht friert im Schnee."
Und da sind diese zwei,
So klein und stolzen Muts:
Er schaufelt sich sein Grab,
Sie strickt ihr Leichentuch.

 

A Lonely Coast

Einsame Küste

Einsame Küste, wo nach einem Wrack,
Das nie erscheint, die Möwen schrein, ihr Strand
Zuletzt besucht, da ihn vor hundert Jahrn
Mit den Gezeiten wandernd ein Ersoffner fand;
Dort schrie ich sinnlos mit den Vögeln laut –
Mich wach: es war im Traum, was ich geschaut.

 

The Dragonfly

König Schillebold

 

Nun meine Rosen halb in Knospe stehn

Und halb in Blüte, kam der Schillebold –

Auf Kurzbesuch, in drei Minuten hatt'

Er alle angeschaut und ausgeruht

Noch obendrein auf einem Apfelblatt.

 

Die runden Schultern mit Smaragd behängt

Und aus Opal die Krone auf dem Kopf,

Der auf der Brust gehäuften Orden Glast –

"Mein Garten ist zwar hübsch", hab ich gedacht,

"Doch ist er würdig auch so noblen Gasts?"

 

Er ruhte dort auf jenem Apfelblatt –

"Seht seine Krone", rief ich, "aus Opal!

Und die Smaragde um den Kopf zuhauf!"

"Die Brust, mein Schatz, wie hübsch war seine Brust!",

Sprach der Geliebten Stimme gleich darauf.

 

"Oh seht, wie herrlich seine Krone strahlt

Mit dem Juwelenwulst um ihren Reif!",

Ich rief's im Schlaf, mir selber halb bewusst –

Die Antwort kam sogleich, in meinem Traum:

"Die Brust, mein Schatz, wie hübsch war seine Brust!"

 

Till I Went Out

Noch eh ich prüfen ging

Noch eh ich prüfen ging von nah,
Was ich durchs Fenster regsam sah,
Ob denn schon heller wär das Gras
Und Steine wären, dunkel-nass;

Und ob ein Zeichen könnte sein –
Hatt' Regen schon, geschrägt und fein,
Mir beinah in den Kopf gesetzt,
Ich möcht' den Wind dort sehn zuletzt.

 

DOI BANSUI

(1871 - 1952)

荒城の月
Kôjô no tsuki

Über der Ruine der Mond

Frühlingsfeier auf der Burg in der Blütenzeit,
Becher wanderten im Kreis, glänzten in dem Licht,
das durch Kiefernastwerk drang, tausend Jahre alt.
Aus der alten Zeit das Licht, wo ist jetzt der Glanz?

Herbst. Der Krieger Lager weiß, weiß bedeckt von Reif,
Gänse zogen mit Geschrei fern darüber hin,
und die Schwerter, eingepflanzt, funkelten im Licht.
Aus der alten Zeit das Licht, wo ist jetzt der Glanz?

Über der Ruine steht mitternachts der Mond,
unverwandelt ist sein Licht, doch zu wessen Gunst?
Nichts blieb an den Mauern doch als der Efeu bloß,
in den Kiefern Lieder singt einer nur, der Sturm.

Aus dem Himmel zwar das Licht bleibt dasselbe stets,
doch es wandelt ständig sich die Gestalt der Welt.
Es zu zeigen ist vielleicht er noch immer da,
über der Ruine – ah! Mitternacht, der Mond.

 

KITAHARA HAKUSHÛ

(1885 - 1942)

 

月と胡桃
Tsuki to kurumi
Mond und Walnüsse

Mondlicht kommt zu den Fenstern geflossen
und mit ihm herein kommt das Rauschen der Stadt.

Mit meinem kleinen, hölzernen Hammer
klopfe ich auf einer Walnuss herum.

Grün ist die Farbe der Walnussbaumblüten,
so ist es doch, Mutter, ich habe doch recht?

Ich weiß es, bestimmt, ich hab sie gesehen
in Hakodate vor der Bibliothek.

Der Vater sei ihm ein guter Freund,
hat Takuboku Ishikawa gesagt.

Ach ja, der ist tot, genau wie die Tante,
gibt es wohl irgendein Foto im Haus?

Oh, Mutter, jetzt sieh nur, ich glaube, das Mondlicht
leuchtet in unseren Schornstein hinein.

 

月の中から来る人
Tsuki no naka kara kuru hito
Der Mensch aus dem Mond

Der aus dem Mond kommt, der Mensch aus dem Mond,
gläserne Mütze, die Schuhe aus Eis.

Eiskalt zu fühlen und weiß ist der Mantel,
ganz voller Schnee, voll von staubigem Schnee.

Der aus dem Mond kommt, der Mensch aus dem Mond,
silbernem Reiher gleich frostiger Mensch.

Da ist er, da ist er, er kam durch das Fenster!
Tief in der Nacht erschallt plong ein Klavier.

 

月へゆく道

Tsuki e yuku michi

Der Weg zum Mond

 

Der Weg zum Mond,

der Himmelsweg,

 

führt von dem Wipfel

des Eukalyptus

 

und von dem Mastbaum

des weißen Bootes

 

und der Antenne

nächtlichem Tau,

 

den ich zum Mond geh,

der schimmernde Weg,

 

geradeaus, geradeaus.

Ein blauer Weg.

 

白いもの
Shiroi mono
Weiße Dinge

Aus der Mitte des Mondes kam er geflogen –
hast du den weißen Vogel gesehn?

Aus der Mitte der Blüten begann er zu blühen –
hast du den weißen Duft auch gesehn?

Aus der Mitte der Wasser begann er zu quellen –
hast du den weißen Nebel gesehn?

Aus der Mitte der Lieder wurde es heller –
hast du die weißen Töne gesehn?

Aus der Mitte der Träume begann sein Erwachen –
hast du das weiße Leuchten gesehn?

Und, reizendes Fräulein, als Ihr geweint habt,
saht Ihr den weißen Vogel da auch?

 

この道 

Kono michi

Dieser Weg

 

Dieser Weg ist der Weg, den ich einmal entlangkam,
ja sicher, es ist so,
da sind die Akazien, alle erblüht.

 

Jener Berg ist der Berg, den ich einmal erblickte,
ja sicher, es ist so,
sieh, weiß steht noch immer der Turm mit der Uhr!

Dieser Weg ist der Weg, den ich einmal daherkam,
ja sicher, es ist so,
ich fuhr in der Kutsche mit meiner Mamá.

Jene Wolke auch hab ich schon einmal gesehen,
ja sicher, es ist so,
vom Weißdornstrauch hängen die Zweige herab.

 

からたちの花

Karatachi no hana

Bitterorangenblüten

 

Die Bitterorangen sind voller Blüten.
Weiß sind, ganz weiß sind sie alle erblüht.

Der Bitterorangen Dornen tun wehe.
Grün sind, ganz grün ihre Nadeln und scharf.

Bitterorangen umhecken die Felder.
Immer und immer nehm ich dort den Weg.

Bitterorangen im Herbst tragen Früchte.
Rund sind, ganz rund ihre Bälle von Gold.

Bei den Bitterorangen weinte ich Tränen.
Alle, ach alle warn freundlich mit mir.

Die Bitterorangen sind voller Blüten.
Weiß sind, ganz weiß sind sie alle erblüht.

 

黄金向日葵

Kogane higuruma

Goldene Sonnenkrone

 

Ach, bist auch du der Sonne müd,

goldene Sonnenkrone?

Unter dem Mittagshimmel des Südens

wie traurig ermattet du aussiehst!

 

砂山 
Sunayama
Die Sand-Dünen

Das Meer mit rauen Wellen,
Sado liegt jenseits des Meers.
Schreit, Spatzen, schreit nur, schreit nur, die Sonne, sie sank ja schon.
Ruft es, ihr alle, ruft es, die Sterne kamen hervor.

Verdunkeln sich die Dünen,
nichts als das Rauschen der Flut.
Die Spatzenschar zerstreut sich, es frischt der Wind wieder auf.
Alle zerstreuten sich, alle, ist keiner, den man noch sieht.

Wir wolln nach Hause gehen,
quer durch das Gumi-Gesträuch!
Sayonara, ihr Spatzen, lebt wohl, bis morgen alsdann!
Sayonara, du Meer auch, leb wohl und auf morgen dann!

 

楡のかげ
Nire no kage
Im Schatten der Ulme

In dem Schatten der Ulme
der Rasen ist schön,
eine Glocke hängte man in der Krone auf.

Hohe Landwirtschaftsschule,
Mittagszeitpause,
alle sind sie eingenickt, es scheint kühl zu sein.

Hier sind wir in Sapporo,
eben ist Sommer,
mit Schmetterlingen, die im Wind schillern und glänzen.

Die Zeit ist um, die Zeit ist um,
also, aufgewacht,
klingel, ding dong, ding dong, ding dong,
bimmelt die Glocke.

 

足踏み

Ashibumi

Fußgetrampel

Trampeln immer auf der Stelle,
ich und alle hier.

Fern am Himmel oben fließen
schöne Wolken hin

und im Meer ein Wellenkräuseln,
blinkt und glitzert her.

Außenhof von unsrer Schule,
und wir kreisen drin,

immer rund mit Fußgetrampel,
ich und allesamt.

Blüht, Sazanka, blühet, blühet,
horch, die Glocke schellt!

 

Ame

Regen

 

Regen regnet unablässig, regnet immerzu.

Spielen gehen möcht ich gerne, habe keinen Schirm

und an meiner Holzsandale riss der rote Gurt.

 

Regen regnet unablässig, regnet immerzu.

Mag nicht gern, doch wenn es sein muss, spielen wir im Haus,

Chiyogami lass uns knicken, falten wir Figurn.

 

Regen regnet unablässig, regnet immerzu.

Kläglich schrie das kleine Küken eben des Fasans,

auch das kleine Küken friert wohl und fühlt sich allein.

 

Regen regnet unablässig, regnet immerzu.

Bracht ich schon zu Bett die Puppe, hört es doch nicht auf.

Alle meine Wunderkerzen sind auch abgebrannt.

 

Regen regnet unablässig, regnet immerzu.

Regnet, regnet alle Tage, regnet in der Nacht.

Regen regnet unablässig, regnet immerzu.

 

栗鼠、栗鼠、小栗鼠
Risu, risu, korisu
Eichkatz, Eichkatz, kleine Eichkatz

Eichkatz, Eichkatz, kleine Eichkatz,
kleine Eichkatz, husch-husch-husch,
rot die Aprikosen-Früchte,
kleine Eichkatz, iss nur, iss!

Eichkatz, Eichkatz, kleine Eichkatz, 
kleine Eichkatz, husch-husch-husch,
grün der Tau des Sanshostrauches,
kleine Eichkatz, trink nur, trink!

Eichkatz, Eichkatz, kleine Eichkatz, 
kleine Eichkatz, husch-husch-husch,
weiße Blüten hat die Rebe,
kleine Eichkatz, schüttle sie!

 

とおせんぼ

Toosenbo

Kein Durchlass

Rote, rote Balsaminen,
Balsaminen weiß,
geh nur zu und schlüpf hindurch!

Die roten zerspringen,
die weißen zerspringen,
nein, nein, du darfst nicht durch!

 

赤い鳥小鳥

Akai tori kotori

Roter Vogel, Vögelein

 

Roter Vogel, Vögelein,
warum magst du rot wohl sein?
Rote Beeren aß ich.

Weißer Vogel, Vögelein,
warum magst du weiß wohl sein?
Weiße Beeren aß ich.

 

Blauer Vogel, Vögelein,
warum magst du blau wohl sein?
Blaue Beeren aß ich.

 

お月夜

O-tsukiyo

Mondhelle Nacht

Klopf,
klopf,
klopf,
bitte macht mir auf.
So sag uns, wer du bist.
Ich bin vom Baum ein Blatt.
      Klopf, kleiner Vogel.

Klopf,
klopf,
klopf,
bitte macht mir auf.
So sag uns, wer du bist.
Ich bin der Wind, der Wind.
      Klopf, kleiner Vogel.

Klopf,
klopf,
klopf,
bitte macht mir auf.
So sag uns, wer du bist.
Des Mondes Licht bin ich.
      Klopf, kleiner Vogel.

 

鳰の浮巣
Nio no ukisu
Das Schwimmnest des Zwergtauchers

Das Schwimmnest des Zwergtauchers wurde entzündet,
wurde entzündet.
Aber war es ein Glühwurm? War es ein Sternschweif?
Oder war es im Auge der Viper das Licht?

Korokoro! tönt ständig der Frösche Gesang,
der Frösche Gesang.
Korokoro! ertönt er, quak quak, quakquak quak!
Plötzlich fängt eine Eule buhuuu! an zu schrein.

 

ちんちん千鳥

Chinchin chidori

Ringring Regenpfeifer

 

Ringring Regenpfeifer ruft die ganze Nacht,
ruft die ganze Nacht,
wenn man auch die Glastür zuschließt, kalt bleibt es selbst dann,
kalt ist es auch dann.

Ringring Regenpfeifer, seine Stimme ruft,
seine Stimme ruft,
auch wenn man die Lichter auslöscht, sie verstummt noch nicht,
noch verstummt sie nicht.

Ringring Regenpfeifer, sind die Eltern fort,
deine Eltern fort?
Nachtwind trägt dein Klagen her, der übern Fluss hin weht,
auf dem Fluss verweht.

Ringring Regenpfeifer, willst nicht schlafen gehn,
niemals schlafen gehn?
Tag zieht auf, der Morgenstern wird bald im Licht vergehn,

bald im Licht vergehn.

 

雀のお宿
Suzume no o-yado
Die Spatzenherberge

Im Bambusgestrüpp, in dem kleinen Gebüsch drin
piep-piep-flatter-klapper, die Spatzen als Weber.
Es klappert da drüben,
es klappert hier vorne,
was sind sie geschäftig, es wird ja schon dunkel!
Piep-piep-flatter-klapper, klappklapp.

Die Spatzen, die Spatzen, die Kinder der Spatzen,
piep-piep-klapper-flatter, das Webschiff ist riesig!
Mal müssen sie aufwärts,
mal müssen sie abwärts,
was sind sie geschäftig, der Tag geht zu Ende!
Piep-piep-klapper-flatter, klappklapp.

Sie weben in Blau und in Braun, so wie Tee ist,
piep-piep-flatter-klapper, was brachten sie fertig?
Ein Tan war's am Morgen,
ein Tan ist's seit Mittag,
was sind sie geschäftig, die Sonne geht unter!
Piep-piep-flatter-klapper, klappklapp.

 

むかし噺
Mukashi-banashi
Es war einmal

Der, der in die Berge auszieht, ist der alte Mann,
die den Weg zum Fluss hinabgeht, ist die alte Frau.

Seine Klinge, Reisig teilend, das Geräusch am Berg,
und am Fluss, den Pfirsisch lockend, winkt sie mit der Hand.

Dieses In-den-alten-Zeiten, voll von Nostalgie,
immerfort der blaue Himmel, Vogel Wetterschön.

Dorf, darin man Kind gewesen, diese Nostalgie,
unablässig Abendröte, Buschwerkspatzenschar.

Der, der in die Berge auszieht, ist der alte Mann,
die den Weg zum Fluss hinabgeht, ist die alte Frau.

 

蜻蛉の眼玉

Tonbo no medama

Die Augenbälle der Libelle

Der Libelle Augenbälle sind wahrhaftig riesig!
Augenbälle silberglitzernd, Augenbälle blau,
runde, runde Augenbälle,
kugelige Augenbälle,
ruhelose Augenbälle.

In den Augenbällen drin wohnen kleine Wichte,
tausende,  zehntausende winzig kleiner Zwerge,
gucken durch Vergrößrungsgläser, jeder einzelne, heraus.
Schaun nach oben, glitzerglitzer.
Schaun nach unten, glitzerglitzer.
Rundherum und stets im Wechsel, glitzerglitzerglitzer.

Eine Rast im Mais – es spiegelt sich der Mais,
eine Rast im Amarant – es spiegelt sich der Amarant
tausend und zehntausendfach in den Augenbällen.
Wunderschön! Wie wunderschön!
Buntes Teleidoskop, wunderwunderschön!

 

Gleich drauf eine Kinderschar springt unsersehns hervor,
Kleberuten pfeifend schwirrn unversehens vor.
Also weg hier!
Nichts wie weg hier!
Hüte kommen nachgeflogen, sind aus Stroh gemacht,
tausende, zehntausende, hinterhergeflogen!
Oh, der Schrecken!
Ach, wie schrecklich!
Glitzerglitzerglitzerglitzer, glitzerglitzerglitzer,
rundherum und rundherum, glitzerglitzerglitzer.

 

MIKI ROFÛ

(1889 - 1964)

 

赤とんぼ

Akatonbo

Rotlibellen

 

Im Abendrot, im späten Rot der Flug der Rotlibellen,
hab ich das wirklich huckepack schon irgendwann gesehen?

Wir pflückten in den Bergen einst aus Maulbeersträuchern Beeren
in einen kleinen Korb hinein. Nichts weiter als ein Trugbild?

Das Mädchen ging mit fünfzehn fort, da war es Braut geworden,
erst kam aus ihrem Dorf noch Post, bis sie zuletzt versiegte.

 

Im Abendrot, im späten Rot der Flug der Rotlibellen,
die eine sitzt und ruht sich aus auf eines Stabes Spitze.

 


Yuki
Schnee

Auf den Bambus fällt der Schnee
sarasara, so
geht im Bambus das Geräusch,
sarasara, so.

Manchmal gibt es,
so, als ob ein Regen ginge,
wie von Graupel machmal auch
gibt es ein Geräusch.

Hoch im Norden ist der Schnee
fest und fein geflockt,
trotzdem kann man das Geräusch
laut und deutlich hörn.

Ein kleiner Schnee in Kyôto,
das gibt kein Geräusch.
Gänsedaunen gleicht er, wenn
er zur Erde weht.

Ist wie weißes Schmuckpapier,
das geflogen kam,
ein kleiner Schnee in Kyôto
ist schön anzusehn.

Auf den Bambus fällt der Schnee
sarasara, so,
der Winter kommt, in Kyôto
ist es früh am Tag.

 

狐の嫁入り
Kitsune no yomeiri
Fuchshochzeit

 

Drüben in den Bergen sind Lichter aufgeflammt.
Das sind Füchse, halten dort eine Hochzeit ab!
 
Und im Waldesinnern geht in der stillen Nacht
zwischen dunklen Bäumen jetzt ihre Prozession.

Wieviel Truhen wohl die Braut mit sich führt im Zug?
Kleine Füchse tragen schwer an der Stangen Last!

Seltsam traurig fühl ich mich, plötzlich ganz allein,
alle Lichter, die ich sah, wurden jäh verschluckt.

Aus dem Himmel, dicht bewölkt, kommt ein Glockenton,
und ein Ziegenmelker ruft, ruft und fliegt davon.

Wohin mag der Hochzeitszug wohl verschwunden sein? 
Berge fern im Westen – nun nichts als Finsternis.   

 

正午

Shôgo

Mittag

Mitten am Tage ein Traum.

Der Rosenbusch brennt,
seine Blüten verbrennen.

Des Königs Haus
steht in Flammen.

Der Rosenbusch brennt,
seine Blüten verbrennen.

Mitten am Tage ein Traum.

Schrill zirpen
die Zikaden.

 

よしきり

Yoshikiri

Der Rohrsänger

Im grünen Riedfeld ein Rohrsänger singt,
kirikiri der Rohrsänger singt kirikiri,
in der Hitze des Sommers weht kleiner Wind,
am Ufer das Schilf,
der Rohrsänger singt.

 

青蛙
Aogaeru
Der Laubfrosch

Lass es schütten,
lass es gießen,
von den Weidenblättern fließen.

Geht die Flut einmal zu Ende,
Regenlaubfrosch,
grüner Rücken,
weißer Bauch.

 

Dreht sich dorthin.
Dreht sich hierher.
Und die Äuglein blinker blinker.

Lass es schütten,
lass es gießen,
von den Weidenblättern fließen.

 

夕焼け雲
Yuuyakegumo

Abenddämmrungswolken

 

In des Himmels tiefem Rot
Abenddämmrungswolkenzug,
kao, kao, kao, so
geht der Frösche Chorgesang.

Kühle Wege, siehe schon
will die Sonne untergehn,
aber lange, lange noch
ist der bleiche Mond zu sehn.

Selbst im grünen, grünen Tal
werden so die Blüten blass,
in des Himmels tiefem Rot
Abenddämmrungswolkenzug.

 

NOGUCHI UJÔ

(1882 - 1945)

 

蘆枯れ唄

Ashi-kare-uta

Lied vom verwelkenden Schilf

Wenn aber das Schilfgras verwelkt ist,
wo soll unser Stelldichein sein?

Und vertrocknet bis zu den Steinen
hinunter da vorne das Flussbett,

wenn aber das Schilfgras verwelkt ist,
wo soll unser Stelldichein sein?

Und vertrocknen bis auf das Erdreich
hinunter dahinten die Felder,

wenn aber das Schilfgras verwelkt ist,
wo soll unser Stelldichein sein?

Im Versteck der vertrockneten Blätter
des Schilfs soll das Stelldichein sein.

 

とんぼ
Tonbo

Libelle


Setzte auf ein Bambusblatt
sich zur Rast Libelle,

die Libelle nahm dort Platz
für ein Mittagsschläfchen.

Müde die Libelle war,
hielt wohl Mittagsschläfchen,

aber als das Bambusblatt
ein klein bisschen bebte,

schreckte die Libelle auf,
so, dass sie erwachte.

Müde die Libelle war,
hielt wohl Mittagsschläfchen.

 

螢の燈台
Hotaru no tôdai
Die Lampen der Leuchtkäfer

Bei Einbruch des Dunkels
die Leuchtkäferlampen

die Lampen der Leuchtkäfer
winzige Lampen

pikari pikari
schimmern sie alle schimmern sie alle

pikari pikari
die Leuchtkäferlampen

die Lampen der Leuchtkäfer
zierliche Lampen

immer im Wechsel
leuchten sie alle leuchten sie alle

 

お使い鳩
O-tsukaibato
Die Taubenkuriere

Auf die Schnelle geflogen
am Ende des Tages

des Traumlandes Taubenkuriere
flattern auf die Augen nieder

mal setzt sich die eine
und dann eine andre

 

so immer sich wechselnd
die Taubenkuriere

sie kommen geflogen
am Ende des Tags

 

カッコ鳥
Kakkotori
Kuckuck-Vogel

Kuckuck kuckuck auf dem Berg
schrie der Kuckuck-Vogel

kuckuck kuckuck auf dem Berg
seiner Stimme Schall

"Für die Tage
wenn es regnet
will ich einen Regenschirm!"

"Für die mondlos
finstren Nächte
will ich einen Lampion!"

kuckuck kuckuck auf dem Berg
schrie der Kuckuck-Vogel

sah vom hohen Berg herab
auf das Dorf und schrie

 

烏と地蔵さん
Karasu to jizô-san
Die Krähe und der Jizô

Der Jizô aus Stein
hielt im Sitzen ein Schläfchen

mit einem Lächeln
hielt er sitzend ein Schläfchen

eine Krähe beäugte
manchmal die Klöße und schrie

doch das sind Klöße aus Stein
nutzlos sie zu stehlen

der Jizô aus Stein
hielt die Nutzlosklöße

mit einem Lächeln
hielt er die nutzlosen Klöße.

 

おひなさま
O-hina-sama
Die Festpuppe

Drehst du sie nach dort hin,
sieht die Festpuppe dorthin,

und drehst du sie nach hier,
dann sieht die Festpuppe her,

aber sagst du ihr "wende dich dorthin",
dann will sie nicht auf dich hören,

aber sagst du ihr "dreh dich nach hier",
schweigt sie genau wie zuvor,

die Ohren der Festpuppe
sind verschlossene Ohren,

der Festpuppe Mund
ist ein schweigsamer Mund.

 

人形屋
Ningyôya
Puppenladen

Vom Puppenladen
hat die Madam
sich ihre Haare frisiert

mit einem Band
aus gedrehtem Papier
gebunden und frisiert

auch ihren Puppen
das schöne Haar
gebunden und frisiert

mit einem Band
aus gedrehtem Papier
gebunden und frisiert.

 

夢を見る人形
Yume wo miru ningyô
Träumende Puppe

Die gern rote Schuhe hätte,
die verehrte Puppe,
dass sie rote Schuhe trägt,
träumt sie einen Traum.

Die gern rote Schuhe hätte,
die verehrte Puppe,
hat in ihrem Traum
rote Schuhe an.

Die sich einen roten Obi 
wünscht, die liebe Puppe,
dass sie einen roten Obi  
trägt, sieht sie im Traum.

Die sich einen roten Obi 
wünscht, die liebe Puppe,
hat in ihrem Traum
rot den Obi um.

 

お人形さんの夢
O-ningyô-san no yume
Der Traum der Puppe

Wo die Puppe wohnte
in lange vergangener Zeit,
gab es ein gläsernes Fenster

und war von Balsaminen
der ganze Garten voll
in ihrer Blütezeit.

Das macht, von Balsaminen träumt
die Puppe
bis heut einen Traum,

sieht durch ein gläsernes Fenster
die Puppe
in ihrem Traum.

 

鶯の夢

Uguisu no yume

Die Träume des Uguisu

 

Träumt' auf einem Pflaumenzweig, träumt' auf einem Pflaumenzweig  
Uguisu einst,
eine Nacht, da Schnee fiel, war,   
was im Traum er sah.

In den Bergen, auf der Flur   
Schnee und nichts als Schnee,
raschelnd, rieselnd, raschelnd,
Schnee und nichts als Schnee.

Da ein Schnee fiel in der Nacht, da ein Schnee fiel in der Nacht,   
Uguisu sah
Pflaumenbäume überall   
blühn in seinem Traum.

In den Bergen, auf der Flur  
nichts als Pflaumen blühn,
flimmernd, schimmernd, flimmernd,  
nichts als Pflaumen blühn.

 

雲雀はどこに
Hibari wa doko ni
Wo aber wohnt die Lerche?

Wo aber wohnt die Lerche?
Sie wohnt im Himmelsmeer.

Sie spielt im Meer des Himmels
vergnügt ihr frohes Spiel.

Es ist das Meer des Himmels
ganz hell und klar und blau

und in dem Himmelsmeere
geht auch die Sonne auf.

Hoch oben ist die Sonne,
hoch ist die Lerche auch.

Es spielt im Meer des Himmels
die Lerche froh ihr Spiel.

 

高い山低い山
Takai yama hikui yama
Der große Berg, der kleine Berg

Der große Berg, was ist er groß!
Wieso ist er denn groß?
Er spielte in der Sonne bloß,
das macht: der Kerl ist groß.

Der kleine Berg, was ist er klein!
Wieso ist er denn klein?
Im Schatten spielte er allein,
drum ist der Bursche klein.

 

かもめ

Kamome

Die Möwen

Die Möwen flogen auf und davon,
die Möwen flogen davon.

Eine war, die war spät dran,
sie flog erst nach den andern.

In der Ferne liegt das Meer
und das Gestade ist lang.

Die Möwen flogen auf und davon,
sie flogen nacheinander.

Eine kam vom Wege ab,
sie flog in großer Eile.

In der Ferne liegt das Meer
und das Gestade ist lang.

 

鼬と雀
Itachi to suzume
Das Wiesel und die Sperlinge

In dieses Haus hier
zogen wir ein,
die Läden waren geschlossen
 

durch den Garten den Garten
mitten hindurch
ging seines Weges ein Wiesel

aus diesem Haus hier
zogen wir aus
die Läden waren geschlossen

in dem Garten dem Garten
oben im Baum
vergnügten die Sperlinge sich.

 

森の中
Mori no naka
Im Innern des Waldes

Im Innern des Waldes ein Kirschbaum
war dort alleine erblüht.

Die Vöglein setzten sich nieder
und sangen frühe und spät.

Dem einen der Vöglein waren
seine Füße rot

und blau war das Gefieder
dem andern Vögelein.

Es war eine schöne Stimme
den zwei kleinen Vögeln gemein.

 

猫の目

Neko no me

Die Augen der Katzen

Katzenaugen, runde Augen,
feixend sind die Augen.

Wenn es auf die Nacht zugeht,
ängstigende Augen.

Katzenaugen, schmale Augen,
feixend sind die Augen.

Geht es auf den Mittag zu,
schläferige Augen.

Schläfrig sind die Augen,
schmale Katzenaugen.

Runde Katzenaugen,
ängstigende Augen.

 

古井戸
Furuido
Der alte Brunnen

Dieser Brunnen hier ist
der bodenlos tiefe
worin es vor Zeiten gespukt hat ein Brunnen.

Wo wenn Regen fiel nachts
mit dem Regenschirm-Geist
einäugiger Kobold hervorkam ein Brunnen.

Und wo "sats-sats-sats-sats"
auch ein Bohnenwasch-Geist
in verregneter Nacht gespukt hat ein Brunnen.

Wo die Geister gewohnt
dieser Brunnen ist alt
und der bis in die Hölle hinabreicht ein Brunnen.

 

よいよい横町
Yoi yoi yokochô
Die schöne Seitenstraße

In der schönen Seitenstraße
den ich sah der Mond den ich sah der Mond

auf die Hälfte abgemagert
war ein Morgenmond an jenem Morgen der Mond

der am Himmel bleich verschwommen
aufgetauchte Mond aufgetauchte Mond

der noch träumte schläfrig blass war
war ein Mittagsmond an jenem Mittag der Mond

aber wo der Hase fleißig
Mochi stampft der Mond Mochi stampft der Mond

ist der Fünfzehn-Nächte-Vollmond
rundum runde Mond so wie ein Kreis runde Mond

 

お月さんの兎
O-tsuki-san no usagi
Der Mondhase

Der Hase vom Mond
war heruntergefallen,
mitten aufs Feld ohne Absicht
ist er heruntergefallen.
Der Hase wanderte umher,
sich eine Leiter zu borgen.
"Leiht mir eine Leiter", rief er, "eine Leiter!"
"Ich wünsche guten Abend!"
"Der Mondhase bin ich, der Hase vom Mond!
Leih mir eine Leiter!"
Als ich ihm eine Leiter lieh,
lud er sie auf den Rücken
und trug sie auf das Dach hinauf,
die Leiter lehnte der Hase an
und klomm empor zum Mond.

 

さらさら時雨
Sarasara shigure
Winter-Nieselregen

Auf den Feldern
riesel niesel
ging ein Winterregen

riesel niesel
und die Vögel
drehten ihren Hals

durch das Dach des Pferdestalls
riesel niesel
Winterregen

riesel niesel
und die Pferde
kriegten nasse Ohrn

 

Yuki

Schnee

Schnee fällt, Schnee fällt konkon
und der Fuchs bellt konkon.

Mittwinter. Klirrende Kälte.

Der Fuchs, der Fuchs bellt konkon
und der Schnee fällt konkon.

 


Kitsune
Fuchs

Es schrie
der Fuchs
in der Raureifnacht.

Der Schweif
war ihm wohl schwer,
die Füße froren wohl.

Er schrie auf den Feldern,
dort und hier,
er schrie die ganze Nacht.

 

雪の歌

Yuki no uta

Schneelied

Schnee fiel, Schnee fiel,
es fiel Schnee.

Auf die Gärten
fiel der Schnee.

Auf die Dächer
fiel der Schnee.

Schau, die Gärten
sind schneeweiß.

Schau, die Dächer
sind schneeweiß. 

 

月影
Tsukikage
Mondlicht

Unverwandt hält sie den Blick
auf das Taschentuch,
welches blass und rosa ist,
und sie weint dazu.

Durch das Fensterglas fließt Licht
von dem Mond herein,
Mondnacht, die verhangen ist,
blauer Mondenschein.

Ob in jenes Taschentuch,
das blass rosa ist,
irgendwas geschrieben steht,
muss im Zweifel sein.

 

雨降りお月さん

Amefuri o-tsuki-san

Der Mond bei feinem Regen

1

Feiner Regen, hinter Wolken
sich der Mond verbirgt.

Wenn du fortgehst, Braut zu werden,
sag, mit wem du gehst!

Ganz allein mit dem Papierschirm
ich des Weges geh.

Aber was, wenn da kein Schirm ist,
sag, mit wem du gehst!

Klingklang kling die Glöcklein klingen,
welche angehängt

meinem Pferd sind, drauf ich schaukle,
und ich werde nass.

2 

Schneller, schneller, liebes Pferdchen,
hell wird schon die Nacht.

Wie ich durch den Zügel eben
einen Blick riskier,

seh ich, wie mit ihrem Ärmel
das Gesicht sie birgt,

und genässt ist auch der Ärmel –
einmal trocknet er.

Feiner Regen, hinter Wolken
sich der Mond verbirgt,

schwankend auf dem Ross die Braut zieht
durchgenässt des Wegs.

 

FUKIYA KÔJI

(1898 - 1979)

花嫁人形
Hanayome ningyô

Die Brautpuppe


Wenn sie sich den Obi bindet, seiden, ganz mit Gold durchwirkt,
warum ist das, dass dabei die liebe Braut so weinen muss?

Wenn sie sich die Haare bindet, Bunkin-Shimada-Frisur,
warum ist das, dass dabei die liebe Braut dann Tränen weint?

Die zum Brautspiel auserkorne Puppe hat ein Festgewand,
rot gefärbt mit Tupfenmuster wie bei einem Rehkitz, an.

Und der Ärmel Tupfenmustern wird zuschanden, wenn sie weint
und das Rot im Tupfenmuster ihrer Tränen Nass durchtränkt.

Doch die Puppe kann nicht weinen, auch nicht, wenn sie weinen muss,
rot gefärbt mit Tupfenmuster, Kimono aus Buntpapier.

 

SAIJÔ YASO

(1892 - 1970)

 

ぼくの帽子
Boku no bôshi

Mein Hut

Ach Mutter, was mag aus meinem Hut geworden sein?
Jaaa ... es war Sommer und wir gingen nach Kirizumi von Usui den Weg,
den Strohhut meine ich doch, der mir den Abhang hinabfiel.

Ach Mutter, wie habe ich den Hut geliebt,
und was war ich damals wütend auf mich,
aber schuld war der Wind, der unversehns aufkam.

 

Ach Mutter, da kam doch aus der anderen Richtung der junge Arzneimittelhändler.
Er trug marineblaue Gamaschen und Handgelenkschützer.
Und bei dem Versuch, ihn aufzulesen, hat er sich ordentlich angestrengt.
Aber am Ende war es unmöglich.
Du weißt, es war ein tiefes Tal, und außerdem wuchsen
die Sträucher so ziemlich mannshoch.

Ach Mutter, wirklich, was mag aus jenem Hut geworden sein?
Die damals seitwärts blühten, orangefarben, die Kurumayuri,
sind wohl seit Langem verwelkt. Und
im Herbst verhüllen die grauen Nebel die Berge,
und es zirpt vielleicht in jeder Nacht unter dem Hut die Zikade.

 

Ach Mutter, und um diese Zeit, ungefähr heute Nacht,
füllt jenes Tal der lautlos fallende Schnee.
Einstmals, da er so prächtig erglänzte, der italienische Strohhut,
schrieb ich in seine Innenseite
die Initialen "Y.S.".
Nun liegt er wie begraben. Still. Und allein.

 

柚の林
Yuzu no hayashi
Yuzu-Frucht-Hain

 

Betritt man den Hain mit den Yuzu-Frucht-Bäumen,
so ist dort das Meer in der Ferne vernehmbar,
ich tret' in den Hain mit den Yuzu-Frucht-Bäumen
und mit einem Mal denke ich wieder an dich.

Wenn ich mit dem Schatz
der erbeuteten Yuzu-
Früchte, der grünen,
in dem Haus mich verstecke
und warte darauf,
dass die Herbstnacht vorankommt –
da höre ich die
Shironameshi-Schuhe
knirschen, du kommst wohl
eben vom Ufer des Meers.

 

かくれんぼ

Kakurenbo

Versteckspiel

 

Weiß jetzt wieder, wie das war:
Verstecken spielen,

wenn, wie lang man auch ausharrt,
der Dämon nicht kommt,

aus dem traurigen Schuppen
durch Stäbe hindurch

 

man verborgen hinausspäht,
hinten im Garten

in den Kakibaumzweigen
ein Zaunkönig saß.

 

薬とり
Kusuritori
Arzneiholen

Weil die Vögel Vögel sind,
schlafen sie artig
im Herzen des Waldes auch in ihren Nestern.

Und weil der Mond der Mond ist,
wandert er einsam
von weit durch den Himmel allein seines Weges.

Der große Bruder bin ich,
darum schickt man mich
auf die lange, die nächtliche Tour um Arznei.

 

春の月
Haru no tsuki
Frühlingsmond

Wie groß er ist, wie groß er ist, dieser Frühlingsmond,
er leuchtet durch das ganze Dorf, dieser Frühlingsmond.

Die Spatzen fanden im Gebüsch keinen Schlaf davon,
im Wassergraben bergen sich Reisfische im Kraut,
im Pferdestall das Fohlen stellt spitz die Ohren auf.

Das ganze Dorf, heraus und schaut voller Ehrfurcht an,
wie groß er ist, wie groß er ist, dieser Frühlingsmond,
in der Regenzwischenzeit dieser Frühlingsmond!

 

月と猫
Tsuki to neko
Der Mond und die Katze

Mii-chan, das Dreifarbenkätzchen,
putzt sich heute Nacht
vor dem Haus auf der Veranda
wieder das Gesicht.

Mii-chan hat auch einen Spiegel,
denn das ist der Mond,
der am Himmel oben leuchtet,
ist der runde Mond.

Ob sich ihr Gesicht drin spiegelt?
Ist es nicht zu sehn?
Mii-chan, das Dreifarbenkätzchen,
schaut so vornehm und
vor dem Haus auf der Veranda
putzt sie ihr Gesicht.

 

毬と殿様
Mari to tonosama
Der Ball und der Fürst

Hüpf- hüpf, hüpfe, kleiner Hand-Ball, hüpf, du kleiner Ball!
Hüpf-hüpf-hüpfe kleiner Hand-Ball, er entfloh der Hand.
Sprang davon. Wohin denn aber sprang der Ball davon?
Übers Dach flog er hinüber, hüpfte übern Zaun
und sprang auf die Straße draußen, auf die Straße raus.

Draußen eine Menschenschlange – was ist denn bloß los?
Fürst von Kishû auf dem Heimweg – eine Prozession!
Tragekiste, Blattgold-Wappen, der Gefolgezug,
eine Sänfte, bärtger Diener geht daneben her,
schwenkt mit großem Aufwand seinen Federwedelspeer.

Hüpf-hüpf-hüpfe kleiner Handball hüpfte auf das Dach,
hüpfte auf das Dach der Sänfte, prallte davon ab.
"Hallo, hallo, Fürst von Kishû, hör mir einmal zu,
deines Landes Mikan-Berge möchte ich gern sehn,
zeige mir die Mikan-Berge, ach, ich bitte sehr!"

Sänfte wandert weiter, weiter auf dem Ostmeer-Weg,
immer auf der Ostmeer-Straße, wo die Kiefern stehn,
Tag für Tag bis in den Abend und von Halt zu Halt.
Wie das erste Jahr dahinstreicht, kommt er nicht nach Haus.
Als das zweite Jahr vorbeigeht, bleibt er immer aus.

Hüpf-hüpf-hüpfe kleiner Handball eine Reise tat
mit dem Fürsten, der ihn festhielt, weit, sehr weit und kam
endlich in das schöne Kishû, Land des Sonnenscheins,
wurde, scheint's, zu einer Mikan in den Bergen dort,
ist zur Mikan, scheint's, geworden, einer Mikan rot.

 

玻璃の山
Garasu no yama
Der Glasberg

Hoch auf eines Glasbergs Gipfel
war einmal ein Schloss aus Gold

und es saß tief in den Schlossturm
die Prinzessin eingesperrt.

Sprach der Prinz: "Ich will sie retten",
ritt im Kreis rund um den Berg,

aber an des Glasbergs Glätte
glitt der Huf des Pferdes aus.

Neunzehn Jahre Kraxeln, Purzeln,
rostete des Prinzen Schwert,

die Prinzessin ward des Wartens
endlich müde und schied hin

und der Prinz starb alt geworden
in dem Dorf am Fuß des Bergs.

Auf dem Schloss ward der Prinzessin
Leichnam eine Rose rot,

blau blüht aus dem Prinzengrab am
Bergfuß Scharfer Enzian.

 

幌馬車
Horobasha
Die Kutsche

Am Silvesterabend fuhr
eine Kutsche durch.

Die Pferde waren kaffeebraun,
die Mähnen gleich frisiert.

Doch saß darin kein Passagier,
kein Licht war angesteckt.

Ob es ein Leichenwagen war
der Träume dieses Jahrs?

Vom Straßenrand im Schlackerschnee
warf ich einen Blick hinein:

ein Kissen erkannte ich,
hell violett,

darauf eine welke Rose
und einen Fingerreif.

 

蠟人形
Rôningyô
Die Wachspuppe

Die wächserne Puppe auf dem Kamin
schläft einen friedlichen Schlummer.
Um das Haus geht ein grimmiger Schneesturm.

Der Wachspuppe war es zum Abend wohl kalt,
drum hat sie die kleine Gastherrin auch
in Sachen aus roter Wolle gesteckt
und setzte sie auf den Kamin rauf.

Die wächserne Puppe schläft und träumt,
derweilen sie schläft, vergnügt einen Traum.
Am Morgen fehlt jeder Schatten von ihr.
Sie wusste nicht, dass sie zerschmelzen.

Im Ofen die Flammen sehn Blüten gleich,
um das Haus geht ein grimmiger Schneesturm.
 

わすられ鉛筆
Wasurare-enpitsu
Der vergessene Bleistift

Auf dem Berg, auf dem Berg, auf dem Berge
liegt oben ein Bleistift, er fiel in das Gras,
ein silberner Druckbleistift, einer von Sharp,
und mit der Nacht kommen einsam die Sterne.

Ach, der mich vergessen, der Meister,
sitzt um diese Uhrzeit gewöhnlichh beim Tee,
dann isst er zu Abend, so macht er das stets,
und ich, auf dem Berg, bin alleine.

Kommt er morgen wohl, nach mir zu sehen?
Oder sind wir von jetzt an auf immer entzweit?
Auf dem Berg hier die Eule hört nicht auf zu schrein,
und bestimmt fällt heut Nacht noch ein Regen.

 

鉛筆の心
Enpitsu no shin
Bleistift-Mine

Mine du Seele des Bleistifts
fein werde fein
ich schärfe dich schärfe dich
fein werde fein

mehr als die Sichel des Mondes
und feiner
als die Ährchen des Schilfs
und feiner
als die Beine der Schwalbe
und feiner
als in meiner Hose die Streifen
werde noch feiner

als an einem Morgen der Regen
noch feiner
als die Ranken der Erbse am Weg
noch feiner
als von einem Heupferd die Fühler
so fein
wie der Rauch aus dem Räuchergefäß
bis so wie er du vergehst

Mine du Seele des Bleistifts
fein werde fein
ich schärfe dich schärfe dich
fein werde fein.

 

烏の手紙 

Karasu no tegami

Der Brief der Krähe

 

Krähe aus den Bergen hatte

einen kleinen rotgefärbten

Briefumschlag gebracht.

 

Öffnend las ich: "Wenn der Mond scheint,

stehn die Berge rings in Flammen.

Es ist fürchterlich."

 

Wollte grad die Anwort schreiben,

als ich aus dem Schlaf erwachte.

Ach, ein Ahornblatt!

 

雪の手紙
Yuki no tegami
Schnee-Brief

Mit einem Rascheln entrollt
beständig der Brief
sich aus Schnee, es ist eine
lange Geschichte.

 

Durch die Scheiben der Fenster
am späten Abend
die Amana-Felder, die
Bäume der Hügel.

Die Sterne verbirgt er und
weißlich verdämmernd
verhüllt er allmählich den
Umkreis des Hauses.

An wen adressiert ist das
eine Art Botschaft,
aus Schnee dieser Brief, eine
lange Geschichte.

 

書物
Shomotsu
Bücher

Eine Nacht mit Mond,
die dicken Bände, die sich
öffnenden Seiten,
die wie Blüten so weiß sind.

Leute und Wagen,
die Weide bei der Brücke –
hübsch aneinander gereihte Druckbuchstaben.

In Bäumen versteckt
zur Nacht die kleinen Vögel –
überall verstreut
die schwarzen Furigana.

Bei Anbruch des Tags
mit den Büchern alleine,
mit Sehnsucht blätternd, von Glück erfüllt
und betrübt.

Eine Nacht mit Mond,
eine Sammlung von Versen,
die nur von Träumen zu reden verstehn, Verse.

 

かなりや

Kanariya

Kanarienvogel

 

Vogel, der sein Lied vergaß, aus Kanaria,

setz ich in den Bergen ihn ganz dahinten aus?

Nein, oh nein, da wird nichts draus, heut und nimmermehr.

 

Vogel, der sein Lied vergaß, aus Kanaria,

grab ich ihn im kleinen Busch hinterm Hause ein?

Nein, oh nein, da wird nichts draus, heut und nimmermehr.

 

Vogel, der sein Lied vergaß, aus Kanaria,

mit der Weidenrute dann peitsche ich ihn aus?

Nein, oh nein, da wird nichts draus, weil's zum Jammern wär.

 

Vogel aus Kanaria, der sein Lied vergaß,

wenn im Boot aus Elfenbein, Ruderstange Gold,

du in einer Mondnacht ihn treiben lässt aufs Meer,

fällt sein Lied, das er vergaß, ihm dort wieder ein.

 

たそがれ
Tasogare
Abenddämmerung

Vogel aus Kanaria,
der sein Lied vergaß,
lag mit einer roten Schnur
rund um seinen Leib
ringsherum fest eingeschnürt
oben auf dem Sand,

eh die kleine Schwester ihn,
"ach du armes Ding",
immer Tränen im Gesicht,
aufschnürt und befreit,

yuugaofarbene
Fingerspitzen, weil
sich der kurze Tag am Meer
seinem Ende neigt.

 

 石卵

Sekiran

Stein-Ei

 

Mein kleines Ei, das rätselhafte,

verstecke ich im Grasgestrüpp,

ich will, meine schneeweißen Schwingen breitend,

in das Himmelsblau ausziehn, nimmermehr wiederzukehrn.

 

Mein Vater war sicher

ein seltsamer Schwan,

vielleicht war er als hässliche Ente geboren

auf einem Hof in Sagami.

 

Ich glaubte, dass ich es ausbrüten könnte,

bis gestern, unerschütterlich,

ich quälte mich ab damit, bis es am Ende

im Morgenlicht zu Stein geworden ist.

 

Eine Rose umfangend verschied meine Schwester,

mein Schwager aß Brombeern und starb,

in eines verlassenen Hauses Mansarde

umhegte ich lange das Ei und ich sang.

 

Am Ende hab ich das Ei doch verlassen,

seht, in den Himmel fliege ich fort,

wenn das Sternenlicht klar ist, die Astern duften,

fliegt über die Stadt, die von modischen Liedern durchströmt wird, ein Schwan, hoch oben, sehr weit entfernt.

 

Chô
Der Schmetterling

Und wenn ich demnächst in die Hölle hinabsteig,
was bringe ich Vater und Mutter und
Freunden, die dort auf mich warten, dann mit?

 

Aus der Brusttasche ziehe ich wohl
einen blassen, zerbrochenen Schmetterlingsleichnam
und sage zu ihnen, indem ich ihn reiche:

"Ein Leben lang
bin ich, so wie ein Kind, einsam,
ihm nachgejagt."